Da ist er ja!
– der erste Milchzahn ist durchgebrochen, für Eltern heißt es nun, ganz neue Alltagsroutinen zu etablieren. Da tauchen viele Fragen auf. Im Interview haben wir mit der Kinderzahnärztin und dreifachen Mama Michaela über einige dieser Fragen gesprochen.
Michaela
Zahnärztin und Expertin für Kinderzahnmedizin
Das Motto unserer Autorin lautet „Gesunde Zähne von Anfang an!“. Michaela ist Zahnärztin, Expertin für Kinderzahnmedizin und Mama von drei Kindern. Sie gibt als angestellte Zahnärztin in einer Praxis in Göttingen, aber auch als @kinder.zaehne auf Instagram, ihr fundiertes Fachwissen weiter, verrät Tipps und Tricks zur liebevollen Zahnpflege und berät Familien individuell, um Lösungen zu finden, die auch tatsächlich zur Familie passen.
Der erste Zahn ist für viele Eltern ein großes Ereignis. Leider haben viele Babys Beschwerden beim Zahnen. Was können Eltern tun, um ihrem Kind zu helfen?
Der erste Zahn ist für mich persönlich einer der schönsten Meilensteine. Er beschert aber leider auch unausgeglichene Kinder, unruhige Nächte und verzweifelte Eltern. Hier gilt es, Durchhaltevermögen zu bewahren und zu versuchen, die Situation für Eltern und Kind so angenehm wie möglich zu gestalten. Hilfe verschaffen dabei Beißhilfen unterschiedlichster Art. Sie massieren das Zahnfleisch und reduzieren den Druck auf die Zahnleiste. Zusätzlich aktivieren sie die Ausschüttung von Wachstumsfaktoren. Auch Kälte kann das Zahnen unterstützen, besonders wenn das Zahnfleisch geschwollen ist. Hierbei bitte darauf achten, dass Gegenstände nur gekühlt und nicht gefroren angeboten werden, da es sonst zu Erfrierungen im Mundbereich kommen kann.
Auch von Bernsteinketten rate ich dringend ab. Keine Studie belegt die Wirksamkeit dieser Ketten und die Gefahr der Strangulation und Aspiration ist viel zu groß. Wenn gar nichts mehr funktioniert und der Schmerz zu groß ist, können Schmerzmedikamente die Rettung sein. Nähe und Körperkontakt sorgen zusätzlich für eine Oxytocinausschüttung und Schmerzlinderung.
Warum ist es so wichtig, gleich mit dem ersten Zahn zu putzen und das Milchgebiss von Anfang an zu pflegen?
Milchzähne sind die ersten Zähne, die der Mensch bekommt. Sie haben die gleiche Funktion wie die bleibenden Zähne, sind also hauptsächlich für die Nahrungszerkleinerung und das Sprechen zuständig. Außerdem dienen sie als Lückenhalter und gewährleisten den korrekten Durchbruch für die bleibenden Zähne. Wer frühzeitig mit der Zahnpflege beginnt, entwickelt schnell eine Zahnputzroutine und sorgt für ein positives Gesundheitsbewusstsein. Wer seine Milchzähne im Kindesalter optimal pflegt, schafft ideale Voraussetzungen für ein kariesfreies Erwachsenengebiss.
Wie sollte das Milchgebiss optimal geputzt werden?
Milchzähne müssen geputzt werden, sobald der erste Zahn durchgebrochen ist. Dabei sollten Eltern eine fluoridhaltige Kinderzahnpasta verwenden und auf bedenkliche Inhaltsstoffe wie Titanoxid achten und diese meiden. Im ersten Lebensjahr können die Zähne bis zu zweimal täglich geputzt werden – am besten morgens und abends. Ab dem ersten Geburtstag dann zweimal täglich. Werden im ersten Lebensjahr weiterhin Fluoridtabletten gegeben, ist eine fluoridfreie Zahnpasta die bessere Wahl.
Bei den ersten Zähnen kann pro Zahn bis 15 gezählt werden, später gelten zwei Minuten als Richtwert. Entscheidender als die Zahnputzzeit ist jedoch die Zahnputztechnik: Kaufläche, Außenfläche, Innenfläche. Die Eltern putzen so lange nach, bis die Kinder eigenständig eine Postkarte aus dem Urlaub schreiben können.
Eltern sollten ihre Vorbildfunktion nutzen und gemeinsam mit dem Kind Zähneputzen. Bei der Motivation zum Zähneputzen sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt: Zahnputzlieder, Reimen oder dem Lieblingskuscheltier die Zähne putzen.
Das leidige Thema Schnuller – Fluch und Segen zugleich. Der heiß geliebte Tröster wird von vielen Kindern nur unter Herzschmerz abgegeben. Warum und ab wann ist es höchste Zeit, den Schnuller abzugewöhnen und wie sollten Eltern dabei vorgehen?
Beim Gebrauch des Schnullers kommt es auf die Dosis an. Ein überdurchschnittlich langer und intensiver Gebrauch kann zu Zahnfehlstellungen und zu einem muskulären Ungleichgewicht führen. Spätestens wenn alle Milchzähne durchgebrochen sind, sollte der Schnuller „abgewöhnt“ werden.
Eltern und Kind müssen aber zu diesem Schritt bereit sein. Wenn unruhige Zeiten bevorstehen, wie z.B. Kita-Eingewöhnung oder Geburt eines Geschwisterkindes, ist der Zeitpunkt eher ungünstig.
Der Prozess sollte liebevoll begleitet werden, denn der Schnuller war jahrelang der beste Freund des Kindes. Eine schöne Tradition ist z.B. der sogenannte Schnullerbaum: Der Schnuller wird vom Kind an den Baum gehängt und es bekommt als Dankeschön ein kleines Geschenk. Es kann den Baum jederzeit besuchen und die Trennung mit einem positiven Erlebnis verbinden.
Warum enthalten viele Kinderzahnpasten nur wenig Fluorid, obwohl es so gut gegen Karies wirkt?
Bei der Dosierung von Zahnpasta muss genau zwischen Kariesschutz und der Gefahr von Zahnfluorosen abgewogen werden. Da Kinder die Zahnpasta noch nicht vollständig ausspucken können, wird in Deutschland für das Putzen der Milchzähne ein geringerer Fluoridgehalt empfohlen. Die Fachgesellschaften haben sich daher 2018 auf einen Fluoridgehalt von 1000ppm geeinigt.
Zähneputzen mit (kleinen) Kindern ist ein Auf und Ab. Mal klappt es, mal nicht. Wie kann man Kinder zum Mitmachen motivieren?
Das Zähneputzen bei Kindern ist ein Prozess – heute klappt es gut, morgen gar nicht. Eltern sollten sich bewusst sein, dass diese Entwicklung ganz normal ist und sie nicht die Einzigen mit diesen Problemen sind, aber leider gibt es auch kein Allheilmittel. Der orale Bereich ist sehr sensibel, Kinder müssen sich zunächst daran gewöhnen, dass in ihrem Mund etwas passiert. Deshalb ist es sinnvoll, so früh wie möglich eine Zahnputzroutine zu entwickeln.
Zudem sollten Eltern ihre Vorbildfunktion nutzen und gemeinsam mit dem Kind putzen. Bei der Motivation zum Zähneputzen sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Von Zahnputzliedern, Reimen, Zähneputzen beim Lieblingskuscheltier, dem Einsatz von Büchern, Medien oder dem Gebrauch einer elektrischen Zahnbürste – alles was hilft, ist erlaubt. Ausgenommen Gewalt, denn dadurch entwickelt sich meist nur ein Teufelskreis, der das Zähneputzen in Zukunft nur erschwert. Außerdem sollte körperliche Überlegenheit niemals ein Mittel der Wahl sein.
Wie gut sind smarte Kinderzahnbürsten zur Motivation? Welche Vorteile sehen Sie als Fachärztin?
Der Markt an smarten Technologien wächst enorm und zeigt auch im Gesundheitsbereich seine Wirkung. Appgesteuerte Zahnbürsten können beispielsweise Familien im stressigen Alltag unterstützen und Kinder zum Zähneputzen motivieren. Darüber hinaus kann smarte Technologie Defizite beim Zähneputzen sichtbar machen und so die Mundhygiene optimieren.
Ob sich der Trend durchsetzt, diese Gesundheitsdaten zum Beispiel an Krankenkassen weiterzuleiten und ggf. bei positiver Zahnputzhistorie zahnärztliche Rechnungen zu übernehmen, wird die Zukunft zeigen.
Was macht eine gute Zahnbürste aus? Wie oft sollte sie gewechselt werden?
Die beste Zahnbürste ist die, die auch genutzt wird. Dennoch gilt es bei kleinen Kindern ein paar wichtige Dinge zu beachten. Die Borsten sollten sehr weich sein, da das Zahnfleisch noch sehr empfindlich ist. Auch ein kleiner und runder Bürstenkopf ist sinnvoll, damit in kurzer Zeit viele Flächen der noch einzeln stehenden Zähne erreicht werden können. Außerdem sollte sie mit den kleinen Händen gut zu greifen sein und sicher in der Hand liegen. Sobald Kinder ihre eigene Autonomie entwickeln, kann man sie beim Kauf miteinbeziehen.
Der Bürstenwechsel erfolgt spätestens nach drei Monaten oder nach sichtbarer Verbiegung der Borsten, da die Reinigungswirkung mit der Zeit nachlässt.
Auch nach überstandenen Infektionskrankheiten kann ein Austausch sinnvoll sein, insbesondere wenn mehrere Kinder in der Familie leben. So kann einer Keimübertragung vorgebeugt werden.
App-gesteuerte Zahnbürsten können Familien im stressigen Alltag unterstützen und Kinder zum Zähneputzen motivieren. Darüber hinaus kann smarte Technologie Defizite beim Zähneputzen sichtbar machen und so die Mundhygiene optimieren.
Wann und wie oft sollten Kinder zum Zahnarzt gehen?
Sobald der erste Zahn durchgebrochen ist, wird der erste Besuch einer zahnärztlichen Praxis empfohlen – in der Regel also zwischen dem 6. und 9. Lebensmonat, spätestens zum ersten Geburtstag. Hier gilt es Defizite in der Mundhygiene und der Ernährung zu erkennen und Eltern beratend zur Seite zu stehen. Danach erfolgen jährliche Kontrolluntersuchungen, bei Auffälligkeiten natürlich auch in kürzeren Abständen.
Was mache ich, wenn mein Kind (panische) Angst vor dem Zahnarztbesuch hat?
Angst kann das Kind entwickeln, wenn es selbst schlechte Erfahrungen gemacht hat bzw. im häuslichen Umfeld Angst vermittelt bekommt. Deshalb ist es wichtig, das Kind so früh wie möglich spielerisch an den Besuch zu gewöhnen (mit Hilfe der Kontrolluntersuchungen) und den Besuch mit etwas Positivem zu verknüpfen. Zu Hause kann im Vorfeld mit Hilfe von Büchern, Rollenspielen oder anderen Medien auf die Untersuchung vorbereitet werden. Auch ein Vorabbesuch in der Praxis zum Umschauen ist jederzeit möglich. Bilder auf der Praxishomepage können ebenfalls zum Kennenlernen hilfreich sein. Als Begleitperson empfiehlt sich der Elternteil, der weniger angstbehaftet ist.
Mein Tipp: Suchen Sie sich eine/n Behandler/in, der bereits selbst eigene Kinder hat und auf dem Gebiet der Kinderzahnheilkunde fortgebildet ist.