Ängste gehören zur normalen Entwicklung eines Kindes. Schon Babys erleben sie, denn sie müssen erst lernen, mit ihrer Umwelt und den vielen Eindrücken, zurechtzukommen. Für Eltern ist es nicht immer leicht, den Ängsten zu begegnen und das Kind dabei zu begleiten. Mit der Pädagogin Marei Theunert haben wir über dieses Thema gesprochen.
Marei Theunert
Ist Mama von 3 Kindern und begleitet als Dipl. Pädagogin und Systemische Therapeutin Eltern online rund ums Thema Familienleben.
Auf Instagram gibt @marei.theunert Impulse wie Eltern mit ihren Kindern, aber auch vor allem mit sich selbst in Verbindung bleiben können.
Frau Theunert, warum fällt es Eltern oft schwer, die Ängste ihrer Kinder ernst zu nehmen?
Ich gehe immer davon aus, dass jede Reaktion einen guten Grund hat. Das kann zum Beispiel sein, dass wir unsere Kinder einfach schützen wollen. Wer will schon, dass es seinem Kind schlecht geht? Da wäre es doch schön, wenn die Angst einfach weg wäre. Gleichzeitig haben die wenigsten von uns in ihrer Kindheit erlebt, dass ihre Gefühle ernst genommen wurden. Unangenehme Gefühle hatten selten Platz und es gab wenig Möglichkeiten zu lernen, wie man einen guten Umgang mit ihnen finden kann. Die Frage könnte also auch sein: Können wir unsere Ängste überhaupt ernst nehmen?
Welche Ängste treten bei Kindern in den ersten Lebensjahren häufig auf?
Ängste begleiten uns ein Leben lang. Angst ist ein diffuses Gefühl, das lähmend und bedrohlich sein kann. In dieser Situation ist man nicht mehr in der Lage, kognitiv zu denken. Kinder (und auch Erwachsene) brauchen jetzt Hilfe auf der Gefühlsebene. Im ersten Lebensjahr ist es die Angst vor dem Alleinsein und vor Fremden, später kommen unsere Kinder in die magische Phase und es können z. B. Ängste vor der Dunkelheit und vor Monstern entstehen. Mit fünf bis sieben Jahren denken Kinder logischer. Sie können sich vor Katastrophen, Unglücken oder Krieg fürchten. Wir dürfen erkennen, dass Angst ein wichtiges Grundgefühl ist, denn sie will uns schützen und in Sicherheit bringen. Es ist wichtig, dass unsere Kinder einen Weg finden, mit ihren Ängsten umzugehen und dass sie uns dabei an ihrer Seite haben. Wird ihnen diese Aufgabe immer abgenommen oder werden sie mit ihren Ängsten allein gelassen, kann sich die Angst verfestigen und eventuell sogar eine Angststörung entstehen.
Warum ist der Satz „Du brauchst keine Angst zu haben“ für Kinder nicht besonders hilfreich? Wie sollten Eltern stattdessen reagieren?
Angst ist zunächst einmal Grundgefühl, das aus einem guten Grund entsteht. Rational darauf hinzuweisen, dass es dafür keinen äußeren, objektiven Grund gibt, bringt das Kind nicht weiter, sondern kann es sogar an seinen Empfindungen zweifeln lassen. Es versteht: So wie ich fühle, ist es nicht richtig, mit mir stimmt etwas nicht. Das kann zu großer Verunsicherung führen und Ängste verstärken. Kinder brauchen Eltern, die ihnen vermitteln: Ich sehe dich, ich bin für dich da, ich gebe dir Schutz und Geborgenheit. Wenn Ihr Kind also das nächste Mal Angst vor Gespenstern hat, nehmen Sie es in den Arm und überlegen Sie gemeinsam, was jetzt helfen könnte: Auf Gespensterjagd gehen? Ein Spray herstellen, das Geister verjagt?
Generell ist es sehr wichtig, mit der Angst in Kontakt zu kommen: Wo spürst du sie gerade? Wie sieht die Angst aus? Was sagt sie? Wie können wir ihr helfen?
Kinder brauchen unser liebevolles Verständnis, jemanden, der ihnen uneingeschränkt zuhört und sie ernst nimmt.
Worauf Sie auf jeden Fall achten sollten: Nutzen Sie Angst niemals als Mittel zur Erziehung. Schon die bekannten “Wenn…dann…”-Sätze bauen viel Druck auf und können Ängste erzeugen.
Mein Kind hat oft Angst – Wie kann ich helfen?
Ganz egal, ob ein Kind Angst vor der Dunkelheit, dem Zahnarzt, der Klassenfahrt oder ganz diffuse Ängste hat: Wenn es sich den Eltern anvertraut, bedeutet das auch immer, dass es auf Unterstützung hofft. In 100 Interviews, die ich für das Buch „Keine Angst vor der Angst“ geführt habe, bin ich der Frage nachgegangen, was wirklich hilft, wenn die Angst zu groß ist für kleine Kinderseelen.
Christine Rickhoff
Autorin und Vierfach-Mutter
Hier sind die Top-Favoriten meiner Familie:
- Fest umarmt werden: Das gibt Geborgenheit und beruhigt das Nervensystem.
- Ernst genommen werden: Bagatellisieren oder Schönreden macht alles schlimmer.
- Gemeinsam einen Plan machen: Auch wenn bestimmt kein Feuer ausbricht… Was könnte das Kind im Fall der Fälle tun? Wo käme es raus? Was müsste es beachten? Gibt es Rauchmelder? Könnte man die mal gemeinsam testen? Wissen macht selbstbewusst und nimmt das Gefühl der Hilflosigkeit.
- Gedankenkarussell bewusst stoppen: Nationalspieler Thomas Müller zeigt noch heute der Angst die rote Karte, wenn sie zu sehr nervt.
- An etwas Schönes in der Zukunft denken: Die Angst wird weniger existenziell, wenn es eine schöne Zukunft gibt.
- Einen inneren safe place aufsuchen: Auch innerlich kann man Abstand gewinnen, wenn man sich an einen wunderbaren Ort träumt und alle Eindrücke genau wahrnimmt. Ein Beispiel: Träum dich an einen Strand. Hör die Wellen. Spür die heiße Sonne auf deiner Haut.
BUCHTIPP: „Keine Angst vor der Angst“
Ein Buch wie 100 Freundinnen und Freunde
Sie hatten nie Angst? Das ist ja unheimlich!
Mit Ängsten ist es wie mit Keksen: wenn man sie mit anderen teilt, sind sie ruckzuck weg.
So geht es Max Giesinger und Motsi Mabuse, Thomas Müller, Rolf Zuckowski, Kindern und – natürlich – Eltern. Also, haben Sie keine Angst, es zuzugeben. Das macht Ihren Kindern nämlich Mut!