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Kindergesundheit

Kinder beim Aufwachsen zu begleiten muss nicht unnotig kompliziert sein

Fotos: www.diptica.com

Nicola Schmidt ist zweifache Mutter, Wissenschaftsjournalistin, Buchautorin und Gründerin des artgerecht Projektes. Aber was bedeutet artgerechtes Heranwachsen überhaupt für uns Menschen und wie begleiten wir unsere Kinder bestmöglich bei diesem Abenteuer? Warum das nicht unnötig kompliziert werden muss, erzählte sie uns im Interview!

Was hat Sie dazu inspiriert, das artgerecht Projekt zu starten?

Das war ganz simpel. Ich war schwanger mit meinem ersten Kind und habe weder Ratgeber gelesen, noch habe ich irgendetwas detailliert vorbereitet. Dann kam mein Sohn drei Wochen früher als geplant und ich hatte praktisch noch nichts. Ich habe dann aber festgestellt, dass das gar nicht schlimm war, denn es klappte trotzdem alles wunderbar! Ich habe gestillt, getragen und habe einfach das gemacht, was sich für uns richtig angefühlt hat. Mein Umfeld hat darauf aber irgendwie seltsam reagiert, nämlich eher mit Unverständnis. Plötzlich prasselten Tipps und Hinweise auf mich ein: Man müsse das Kind an feste Schlafens- und Essenszeiten gewöhnen, es dürfe doch nicht die ganze Zeit an mir kleben, und überhaupt müsse da doch viel mehr Struktur rein. Daraufhin habe ich mich gefragt, wer Recht hat: Mein Kind oder die Leute? Als Wissenschaftsjournalistin habe ich angefangen zu recherchieren, um herauszufinden, was jenseits von allen Erziehungsmethoden wirklich artgerecht für den Homo sapiens ist. Die Wissenschaft und die Babys sind sich da sehr einig, aber immer, wenn Kultur hinzukommt, wird aus einem einfachen biologischen System ein fürchterlich kompliziertes Ding.

Was genau versteht man unter artgerechter Erziehung und was fördert eine gesunde körperliche und geistige Entwicklung bei Kindern?

Kinder müssen außerhalb des Mutterleibes „nachreifen“. Dabei helfen wir ihnen, indem wir zu allererst ihre Grundbedürfnisse nach Schlaf, Nahrung und Kontakt stillen. Tun wir das nicht und lassen das Kind z. B. zu lange auf die nächste Mahlzeit warten oder lassen es allein, wenn es Kontakt benötigt, dann kann das Kind nicht gesund heranwachsen, weder körperlich noch psychisch. Diese ganzen Ideen, dass kleine Babys lernen müssten, sich selbst zu regulieren, sind schlichtweg falsch. Das lernen Kinder im Alter von zwei bis drei Jahren, aber nicht mit sechs Monaten.

Auch wir erwachsenen Menschen sind angewiesen auf Nähe, schlafen z. B. mit unserem Partner oder unserer Partnerin in einem Bett. Es ist einfach widersinnig, dass wir von unseren Kindern erwarten, dass sie das allein hinbekommen müssten: die Kleinsten, die zudem noch die größten Bedürfnisse und Ängste haben! Wir sind nun mal eine kooperative und in Gruppen lebende Art. Dahin müssen wir zurück.

Welche Rolle spiel dabei das Freispiel?

Eine ganz wesentliche! In Jäger- und Sammlerkulturen spielen Kinder bis zum Anfang der Pubertät frei und lernen auf diese Weise, wie das Leben funktioniert. Das bedeutet, dass ein Kind mit anderen Kindern in einem anregenden Umfeld spielt, zum Beispiel im Wald, auf einem Spielplatz, am Strand. Dort können sie sich mit ihren Kameraden entfalten und lernen, kleine Risiken einzugehen, in der Gruppe zusammenzuarbeiten, Konflikte auszutragen und die eigenen Grenzen (und die der anderen) kennenzulernen.

In unserer Gesellschaft tendieren wir dazu, unsere Kinder dabei einzuschränken, wir geben ihnen nicht mehr den Raum, den sie für ihre Entwicklung brauchen. Dabei sollten wir sie begleiten und ihnen dabei helfen, die Welt zu entdecken. Es sollte natürlich Abmachungen geben, wie zum Beispiel „Klettere nur so hoch, dass du auch allein wieder herunter kommst“. Aber wir sollten sie viel mehr probieren lassen! Sie sollten kleine Risikoerfahrungen machen dürfen, um später größere Risiken besser einschätzen zu können.

Wie begleitet man ein Kind in schwierigen Situationen?

Die wichtigste Faustregel ist: Wenn das Kind unter Stress gerät, werden wir ruhig. Denn wir müssen ihnen in solchen Situationen zeigen, wie man entspannt bleiben kann, um eine mögliche Lösung für das Problem zu finden. Kleinere Kinder haben eine sehr geringe Frustrationstoleranz, sie müssen von uns beruhigt und langsam in die Lösungsfindung geführt werden. Bei Schulkindern wird vieles von Gefühlen geleitet, hier geht es um die Umstellung vom emotionalen Denken aufs rationale Denken, bei der wir unterstützen können. Das gilt auch für Ängste: In erster Linie brauchen unsere Kinder dann jemanden, der sie versteht und ihre Ängste ernst nimmt, denn Angst ist etwas ganz Normales. Zudem haben Kinder etwa im Alter von zwei bis sieben ihre magische Phase. Da helfen alle rationalen Erklärungen nichts, wenn die Angst vorm Monster unterm Bett für die Kinder absolut real ist. Magische Ängste brauchen daher magische Lösungen, zum Beispiel das Anti-Monster-Spray, das vorm Schlafengehen versprüht wird. Und wenn das alles nichts nützt, hilft nur, da zu sein und das Kind zum Beispiel in den Schlaf zu begleiten.

Wenn Sie Eltern einen Tipp ans Herzen legen könnten, welcher wäre es?

Das richtige Setzen von Prioritäten ist extrem wichtig. Es gibt Situationen, in denen man sich zuerst einmal um dringliche Anliegen kümmern muss, bevor man sich um das Kind kümmern kann. In anderen Situationen kann es aber auch notwendig sein, dem Kind Priorität einzuräumen und z. B. das Abendessen eine halbe Stunde später auf den Tisch zu bringen. Zudem ist die Selbstfürsorge essenziell. Das heißt, darauf zu achten, dass man genügend Schlaf bekommt, regelmäßig und gesund isst, nicht abends noch ewig am Handy hängt und sich ausreichend bewegt. Und ein weiterer Tipp ist, sich Pufferzeiten zu verschaffen: das kann z. B. noch eine zusätzliche Runde um den Block sein, bevor man das Kind von der Kita abholt. Und wenn es dann doch mal passiert und sowohl Eltern als auch Kinder gestresst sind, dann setzen wir uns einfach gemeinsam auf den Boden atmen zusammen durch. Dann können wir uns den Tag erzählen, manchmal muss das einfach raus, und sagen.. „Hey du, mein Tag war heute richtig doof, deiner auch? Erzähl mal, was ist heute bei dir passiert?“ Dann merkt man recht schnell, dass es vielleicht gar nicht so schlimm ist wie gerade noch gedacht und schafft für beide Seiten Raum, gehört und verstanden zu werden. Denn nur so lernen Kinder, lösungsorientiert mit Problemen umzugehen, ohne sich dabei verbiegen zu müssen.

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