Daniel Bröckerhoff
Freier Journalist und Moderator
Daniel Bröckerhoff ist freier Journalist und moderiert beim ZDF die Livestreams der heute-Redaktion. Wenn er nicht in Mainz arbeitet, lebt er bei seiner Frau und zwei seiner drei Töchter in Hamburg und versucht, alles nachzuholen, was während seiner Abwesenheit liegen geblieben ist. Seine zweite Tochter (4) ist atypische Autistin, seine jüngste Tochter hat eine angeborene Muskelschwäche.
6 Uhr
Wenn nicht schon einer der biologischen Wecker in unserem Familienbett (zwei und vier Jahre alt) die Bande wach gemacht hat, schmeißt uns der Handywecker raus. Die Schmerzen sind real, die Augenringe auch und der Morgenstress ist akut. Zum Glück unterstützt uns unser polnisches Au-pair Weronika beim Wachwerden und Kinderversorgen. Frühstück machen, Rucksäcke packen, Windeln bei beiden Kindern wechseln, denn auch die Große trägt noch To-go-Toilette. Nicht untypisch für Autisten, oft lernen sie erst sehr spät im Leben, aufs Klo zu gehen.
6:30 Uhr
Die Familie sitzt am Frühstückstisch. Wie immer isst die Große zu wenig (auch nicht ungewöhnlich für Autisten) und die Kleine zu viel. Da sie eine angeborene Muskelschwäche hat, sind Bewegungen für sie anstrengender als für andere. Dafür isst sie gern. Der Effekt: ein echtes Buddha-Baby mit Speckbeinchen. Die Große erzählt uns dabei in ihrer ganz eigenen Sprache Dinge, die sie sieht, hört oder haben will. Manchmal mischt sie Wörter aus unserem Sprachschatz dazwischen. Dann wissen wir: Sie will mehr zu trinken, auf dem Trampolin hüpfen oder Schokolade zum Frühstück. Unsere Antwort ist so ritualisiert wie ihre Nachfrage und bringt immer alle zum Lachen: „Nein, Schokolade!“
7:30 Uhr
Meine Frau hat das Haus schon verlassen, als Sonderpädagogin muss sie früh los. Au-pair Weronika hat Smoothies zum Mitnehmen für die Kinder gemacht und der Kleinen ihre Orthesen umgeschnallt, die sie beim Laufenlernen unterstützen. Die Türklingel sorgt für freudige Aufregung bei der Großen: Ihre Kindergartenassistentin ist da! Mütze auf, Beißkette um (ein Stück Silikon in Diamantform, in das sie beißen kann, statt ihre Hand dafür zu benutzen, wenn sie frustriert ist) und los geht`s. Wenn die Tür hinter allen zufällt, falle ich erst mal aufs Sofa. Der härteste Teil des Tages ist geschafft. Zeit, die Nachrichten zu lesen – sowohl die auf meinen Social-Media-Kanälen als auch die in den News-Apps.
8:30 Uhr
Oh, schon wieder eine Stunde am Handy gesessen. Wenn ich Zeit habe, schwinge ich mich jetzt für eine Weile auf die Yogamatte, die müden Glieder und Muskeln wecken. Den Rest des Vormittags verbringe ich zwischen Recherchen, Social-Media-Posts, E-Mails, Papierkram, Telefonaten und der Frage, ob ich jetzt schon wieder den nächsten Espresso trinken kann.
14:00 Uhr
Aus irgendeinem Grund ist es schon wieder 14 Uhr. In einer Stunde sind die Kinder wieder von Tagesmutter und Kindergarten zurück – und die Wäsche ist noch nicht abgehängt, das Kinderzimmer nicht aufgeräumt, und wer hat eigentlich die Kaffeetasse im Bad stehen lassen und die Schuhe im Flur verteilt? Als ordnungsliebender Mensch räume ich grummelnd hinter meinen Mädels her. Zum Glück kann ich dabei mit der Redaktion telefonieren und die nächsten Themen besprechen. Und seit Corona gilt Jogginghose ja auch als adäquate Arbeitsbekleidung. Sollte ich vielleicht noch kurz duschen?
15:30 Uhr
Die Mädelsbande ist wieder zu Hause. Wenn das Wetter es erlaubt, toben sie sich im Garten aus. Wenn nicht, wird die gerade aufgeräumte Wohnung wieder zerlegt. Ich versuche nebenher, produktiv zu sein, was in etwa so erfolgreich ist wie der Versuch, während eines Erdbebens sich ein Glas Wasser einzuschenken, ohne dabei alles zu verschütten. Meine Frau kommt nach Hause, die Kinder stürzen sich auf sie. Ich auch. Wie war der Tag? Dieses Ritual ist wohl in allen Familien gleich.
16:30 Uhr
In einer Stunde muss das Abendessen auf dem Tisch stehen, als Autistin ist die Große sehr auf zeitliche Strukturen angewiesen. Eine halbe Stunde zu spät und sie verweigert das Essen und will sofort ins Bett (ja, solche Kinder gibt es auch!). Das tägliche Rätselraten beginnt: Was machen wir zum Abendbrot? Meine Frau ist laktoseintolerant, ich habe eine Histamin- unverträglichkeit und die Große darf kein Gluten und ebenfalls keine Milchprodukte essen. Der Asia-Imbiss nebenan kennt unsere Sonderwünsche mittlerweile schon auswendig, heute gibt es aber Kokosmilchreis, manchmal aber auch einfach Brot und gekochte Eier oder Nudeln mit Tomatenketchup. An diesen Tagen schämen wir uns aber ein bisschen dafür, dass wir so miese Eltern sind, und stellen noch eine Schale rohes Gemüse auf den Tisch. Manchmal sind die Kinder gnädig und ignorieren das Gemüse sogar NICHT.
17:30 Uhr
Bettzeit. Manchmal müssen wir die Große fast zwingen, bis dahin noch wach zu bleiben. Sie genießt die Zeit im Kindergarten, aber wir merken auch, wie sie die ganzen Eindrücke, Geräusche und Kinder sehr ermüden. Die Kleine muss aber auch nicht ins Bett geprügelt werden. Was das angeht, haben wir es sehr einfach. Kurz nachdem der Stress des Zähne- putzens überstanden ist, liegen wir im Bett. Eine Gutenachtgeschichte und nach 10 Minuten schlummern beide friedlich nebeneinander. In guten Nächten bleibt das so. In schlechten Nächten wacht die Große schreiend auf und muss lange durch Tragen und gutes Zureden beruhigt werden, bis sie wieder schlafen kann
18:30 Uhr
Die Küche ist ein Schlachtfeld, der Flur ein Strafgericht. Wir spielen Schnick, Schnack, Schnuck, wer was aufräumen muss. Und einen Stapel Arbeit haben wir auch noch. Die vielen Therapien der Kinder produzieren zuverlässig ein Bürokratiegebirge, das immer größer zu werden scheint, je mehr wir versuchen, es abzuarbeiten.
22:30 Uhr
Wir kriechen ins Bett. An guten Tagen ist das Gebirge wieder ein Stück kleiner geworden, ich habe noch ein Video fürs Netz produziert und meine Instagram-Story bespielt. Die anderen Tage heften wir unter „Morgen ist auch noch ein Tag“ ab. Gute Nacht!