Dr. Dirk Zorn
Experte für schulische Bildung bei der Bertelsmann Stiftung
Die Zahl der Schülerinnen und Schülern wachsen dynamischer als angenommen und die Lehrer werden immer weniger – wie viele Lehrer fehlen an den deutschen Schulen?
Über den aktuellen Lehrermangel kann man nur spekulieren, denn leider gibt es keine verlässliche, bundesweite Statistik etwa zur Zahl der unbesetzten Stellen. Eine ungefähre Ahnung vermittelt ein Blick in die Zahlen der Kultusministerkonferenz: In den letzten zehn Jahren hat sich der Anteil an Seiten- und Quereinsteigern an den Neueinstellungen verfünffacht, von 2,6 auf 13,3 Prozent. Von 36.000 in 2018 eingestellten Lehrkräften verfügten also fast 5.000 über keine pädagogische Ausbildung.
Wo ist der Lehrermangel besonders drastisch?
Insbesondere in den Grundschulen fehlen schon heute sehr viele Lehrkräfte. Der Mangel wird sich bis 2025 deutlich verschärfen. Um die Unterrichtsversorgung zu gewährleisten, werden Tausende Personen benötigt, die nicht für den Einsatz an Grundschulen ausgebildet worden sind. Regional ist der Mangel momentan besonders in Sachsen und Berlin sehr groß, und auch in NRW bleiben viele Stellen unbesetzt.
Welche Maßnahmen/Lösungsansätze müssen eingeleitet werden, um den Lehrermangel zu bewältigen?
Drei Maßnahmen stehen im Vordergrund: Angehende Ruheständler, die noch Lust auf Schule haben, sollten ermuntert werden, ihre Pensionierung um ein paar Jahre aufzuschieben. Zudem sollte hohe Teilzeitquote unter Grundschullehrkräften sinken; dafür braucht es bessere Unterstützung der Lehrpersonen etwa bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Und schließlich werden in jedem Fall auch Personen benötigt, die nicht für die Grundschule ausgebildet wurden. Das können Gymnasiallehrer sein oder Studienabsolventen, die über keine pädagogische Ausbildung verfügen, also die sog. Quer- und Seiteneinsteiger.
Wie stehen Sie zum Thema Quer- und Seiteneinsteiger angesichts der Qualität des Lehrens und Lernens?
Wenn man keine größeren Klassen oder Unterrichtsausfall in großem Stil will, werden wir auf Quer- und Seiteneinsteiger nicht verzichten können. Damit die Qualität des Unterrichts nicht leidet, kommt es auf drei Dinge an: Erstens müssen alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um möglichst viele studierte Lehrkräfte an die Grundschulen zu bekommen, also z.B., indem man Gymnasiallehrkräfte, von denen es zu viele gibt, für den Grundschuleinsatz fortbildet. Zweitens brauchen Quereinsteiger eine solide, berufsvorbereitende und –begleitende Qualifizierung. Drittens muss die Bildungsverwaltung ein Auge darauf haben, dass die Quereinsteiger sich nicht an sogenannten Brennpunktschulen ballen. Aufgrund der oft fehlenden pädagogischen Kenntnisse brauchen sie viel Coaching durch erfahrene Kollegen. Das geht aber nur, wenn der personelle Mix stimmt und die motivierten Neustarter nicht gleich komplett überfordert werden.
Warum tut man sich mit der Verbeamtung von Lehrern so schwer?
Berlin ist das letzte verbliebene Bundesland, in dem nach wie vor nicht verbeamtet wird. Doch auch hier bröckelt der Widerstand; die Berliner SPD hat sich bereits für eine Wiedereinführung der Verbeamtung ausgesprochen. Ob dies hilft, den Lehrermangel wirksam zu lindern, ist zwischen den Regierungsparteien allerdings umstritten.
Als Schülerin habe ich mich oftmals gefreut, wenn die letzte Stunde ausgefallen ist und kein Vertretungslehrer zur Verfügung stand – heute sehe ich die noch stärke Auswirkung vor allem bei meinem Vater, der Berufsschullehrer ist. Oft muss er bei krankheitsfällen für seine Kollegen einspringen und sitzt abends noch lange an seinem Schreibtisch und kontrolliert Klausuren. Wie kann man den Lehrerberuf für Nachkömmlinge attraktiver machen?
Hier gilt es zu differenzieren: Bei angehenden Grundschullehrkräften etwas gibt es kein Nachwuchsproblem. Die Universität haben nicht mal genug Studienplätze, um alle Interessenten zu versorgen. Anders beim Berufsschullehramt: Hier herrscht gerade in den gewerblich-technischen Fächern schon seit vielen Jahren großer Mangel, dem mit verschiedenen Maßnahmen begegnet werden muss, angefangen von einer Aufwertung des Studiums bis zu konkurrenzfähigen Arbeitsbedingungen, etwa, was die Ausstattung mit digitalen Arbeitsmitteln anbelangt. Eine Imagekampagne alleine reicht jedenfalls nicht aus.
Was wird Ihnen von Lehrern innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers berichtet?
Bei vielen Lehrkräften reift die Erkenntnis: Schulentwicklung ist Daueraufgabe und die Zusammenarbeit im Team wird immer wichtiger. Denn der schulische Alltag ist für Lehrer von wachsenden Herausforderungen geprägt: Steigende Vielfalt im Klassenzimmer, der Umgang mit Digitalisierung und einer sich wandelnden Lebenswelt von Schülern etwa.
Eigentlich kommt der Lehrermangel da zur Unzeit. Was mich dennoch hoffnungsvoll stimmt: Quereinsteiger könnten zum Katalysator für Schulentwicklung werden. Sie befördern die Kooperation zwischen Pädagogen und qualifizieren sich ganz selbstverständlich berufsbegleitend weiter. Damit geben sie wertvolle Impulse fürs ganze Kollegium.
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